Mozart oder Tschaikowski haben ihre Komposition nicht mit Fingersätzen versehen. Auch bei Vivaldi oder Strawinksy sucht man sie vergeblich — wie bei den meisten bekannten Komponisten. Im 19. Jahrhundert begannen allerdings zahlreiche Musikverlage Notenausgaben herauszubringen, die ganz gezielt an konkrete instrumentalpraktische Gegebenheiten angepasst wurden und nicht selten großzügige Zusätze der Herausgeber enthielten. Die Urheber dieser eingerichteten Notenausgaben waren häufig führende Musiker und nicht selten zudem bekannte Pädagogen, die es für wertvoll erachteten, ihre eigenen praktischen oder pädagogischen Erfahrungen mit der gebührenden Autorität für die Allgemeinheit zu fixieren.
Heute sind für die musikalische Praxis wieder eher „cleane“ Notentexte, die der ursprünglichen Niederschrift des Komponisten nahe kommen, populär — die in den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts begonnene „historisch informierte Aufführungspraxis“ hat ihren Teil dazu beigetragen. Doch verschwunden sind die eingerichteten Noten keineswegs. Einerseits führt die kostenlose und ständige Verfügbarkeit von gemeinfreien Notenausgaben über Internet-Plattformen (die Schutzfrist des Urheberrechts läuft nach 70 Jahren aus) wieder zu einem vermehrten Gebrauch historischer Editionen und andererseits werden von Musikverlagen nach wie vor Notenausgaben — vor allem von Werken, die in der klassischen Musikausbildung wichtig sind — mit Fingersätzen oder anderen spielpraktischen Ergänzungen angeboten.
Ein Hoheitsgebiet des Musikers
Fingersätze sind — vielleicht noch mehr als alle anderen Aspekte des Musizierens — ein unanfechtbares Hoheitsgebiet des ausführenden Musikers. Und das mit gutem Grund, denn die damit in Zusammenhang stehenden physiologische und technische Voraussetzungen, spielpraktischen Vorlieben und Stil- und Klanggefühl sind hoch-individuelle Angelegenheiten. So kann etwa ein Geiger oder sogar Bratschist mit großen Händen mit der Zeit Vorlieben für weite Streckungen entwickeln, wohingegen eine Geigerin mit eher zierlichen Händen an den entsprechenden Stellen stets die Option des Lagenwechsels wählt. Oder der eine lernt in der Barockmusik den hellen, offenen Klang der leeren Saiten zu schätzen, während der andere nicht auf ein Vibrato-reiches und eher weiches Klangbild verzichten möchte und daher versucht, leere Saiten nach Möglichkeit zu vermeiden. Und natürlich gibt es schließlich auch Geigen, Bratschen, Celli etc., denen ganz bestimmte Register auf den einzelnen Saiten mehr oder weniger gut zu Gesicht stehen und dem Spieler damit gewisse Fingersätze nahelegen.
Eigene Lösungen finden
Bei der Wahl der Fingersätze kann man die größtmögliche Freiheit für sich als Musiker beanspruchen. Leitbild dürfen und sollen die eigenen technischen Möglichkeiten und musikalische Ideale sein — gedruckte Fingersätze im Notentext stellen nicht mehr als eine mehr oder weniger wertvolle Anregung dar und sind gegebenenfalls einfach mit Bleistift zu überschreiben oder durchzustreichen.
Zuguterletzt möchte ich aber zumindest auf Spezialfälle aufmerksam machen, in denen vorgegebene Fingersätze unbedingt beherzigt werden sollten: Bei Etüden oder Übungen, die speziell im Hinblick auf bestimmte technische Problemstellungen (wie bestimmte Handstellungen, Doppelgriff-Positionen, Lagenspiel oder spezielle bogentechnische Herausforderungen) konzipiert wurden, könnte ein Abändern oder Anpassen des Fingersatzes mitunter das zugrunde liegende didaktische Konzept durchkreuzen.
Super Beiträge, Heinz!
LG Markus
Vielen Dank!