Kennst Du schon Lukas Neudinger? Oder: Wie wichtig gute Bogeneinteilung für erfüllendes Musizieren ist …

Bild vom Bratschisten und Komponisten Lukas Neudinger.
Lukas Neudinger, Viola-Dozent bei der Musikwoche Grünbach seit 2023, ist Bratschist und Komponist. Im folgenden Interview erzähl er nicht nur Spannenes aus seinem Leben und seinem Dasein als Musiker, sondern gibt auch wertvolle spieltechnische Tipps.

Lieber Lukas, wie hast Du zu Deinem Instrument gefunden?

Als Kind haben mich meine Eltern öfters zu Klassik-Konzerten mitgenommen. Und als dort der Streichersound allein zu hören war, soll ich gesagt haben „Das ist schön!“ Dies war für meine Eltern die Initialzündung, mich ein Streichinstrument lernen zu lassen. Dass es schließlich die Geige wurde, hat vielleicht auch damit zu tun, dass mein Vater selbst paar Jahre Violine gelernt hatte. Gleichzeitig begann ich auch mit Klarinettenunterricht beim Kapellmeister des Musikverein Forchtenstein. Viel später, erst mit 24 Jahren, wechselte ich zur Bratsche.

Was war für Dich die größte Herausforderung beim Geige-Lernen?

Als Geigenschüler hatte ich für eine gewisse Zeit Probleme beim Ausführen größerer Saitenwechsel meine rechte Schulter entspannt zu lassen. Erst durch wiederholte Hinweise (Schulter antippen) durch den Lehrer sowie die bildhafte Vorstellung, eine schwere Tasche voller Steine hänge an der Schulter und ziehe diese nach unten, halfen mir dann doch schnell zu einer entspannten Schulterposition beim Spielen.

Was war Dein schönster Moment auf der Bühne?

Als gefragter Aushilfsmusiker, genannt Substitut, in den Reihen des phänomenalen Orchesters der Wiener Symphoniker auf der Bühne des großen Musikvereinsaals („Goldener Saal“) zu sitzen und unter dem mitreißenden Dirigat von Andris Nelson Strauss‘ „Ein Heldenleben“ zu spielen. Die unbändige Energie des Dirigenten in den Bewegungen und seiner Mimik erreichte auch die letzten Pulte des Orchesters. Dieses Erlebnis bleibt für mich unvergessen.

Und Dein peinlichster Moment auf der Bühne?

Ebenfalls im Orchester der Wiener Symphoniker — diesmal bei den Bregenzer Festspielen. Puccini’s „Turandot“ stand am Programm, es war eine wichtige Probe im großen Festspielhaus in Bregenz. Im Werk gibt es eine sehr schwere Stelle mit vielen, vielen schwarzen Noten – also schnelle Läufe. Und kurz davor benötigen wir Streicher den Dämpfer. Ich hatte erst wenige Tage zuvor einen neuen Dämpfer gekauft, der — obwohl aus Gummi — noch sehr fest und steif war, und sich nur schwer auf den Steg schieben ließ. Und genau bei den paar Takten vor der wilden Stelle in der Oper übertrieb ich es mit meinem Kraftaufwand und drücke beim Raufschieben unmerklich mit dem Dämpfer zu fest gegen den Steg. Das war wohl zu viel rohe Gewalt für den armen Steg, und er verabschiedete sich – nicht gerade leise. Mit einem Riesenknall der auf das Griffbrett schnalzenden Saiten flog er mehrere Meter weg von mir. Ich hatte keine Chance ihn so schnell wieder zu finden und aufzustellen. Völlig verdutzt, aber immerhin still, verharrte ich während dieser schweren Läufe, um bei der nächsten Proben-Unterbrechung das Instrument wieder zu „reparieren“. Meine Umgebung nahm es teils mit Schrecken wegen des Knalls, teils mit Humor: „So kann man sich auch vor schweren Stellen drücken“, sagte lachend mein Pultnachbar danach.

Kannst Du uns etwas über Deine Lieblingskomponistinnnen und -komponisten, Lieblingsmusikstile oder Lieblingsstücke erzählen?

Das sind vor allem jene Komponisten, die große und größte Orchesterklänge bevorzugen, also: Richard Strauss, Mahler, Bruckner, Strawinsky, Mussorgsky, Prokofjew. Lieblingsstücke: Prokofjews „Skythische Suite“, Strawinskys „Sacre du Printemps“, Mahlers sechte Symphonie, Strauss‘, „Ein Heldenleben“. Und viele andere…

Und auf dem Gebiet der von mir geliebten Filmmusik ist das John Williams, der „Gott der Filmthemen“ und knapp dahinter folgt Hans Zimmer als „Meister der sphärischen Großklänge“. Meine Favoriten sind die Musik zu „Der Weiße Hai“ und „Jurassic Park“ und Zimmers epische Musik zu „Interstellar“ (Riesenorchester plus Orgel!).

Wie gestaltest Du eine typische Übe-Einheit auf Deinem Instrument? Hast Du spezielle Aufwärmübungen / Technikübungen, die Du regelmäßig machst?

Kommt darauf an, wie viel Zeit zur Verfügung steht. Wenn es schnell gehen soll, dann starte ich mit einer kleinen Tonleiter-Übung für die linke Hand. Los geht’s mit dem tiefen ersten Finger auf der tiefsten Saite. Auf einer Saite bleibend und stets legato wird jeweils eine Dur-Tonskala im Umfang einer Oktave hinauf und hinunter gespielt. Ich benutze dafür folgendem Fingersatz von Flesch: 1, 2–1, 2–1, 2, 3, 4 | 4, 3, 2, 1–3, 2, 1. Diese Skala schiebe ich stückweise chromatisch, also in Halbtonschritten nach oben. Auf der Geige wäre das also: As-Dur, A-Dur, B-Dur, H-Dur, C-Dur, Des-Dur, D-Dur — alles auf der G-Saite. Anschließend wechselt man auf die D-Saite: Es-Dur, E-Dur, F-Dur, G-Dur usw. Ich pflege diese Übung schon so lange, sodass ich sie in auch in sehr schnellem Tempo spielen kann, um flott die linke Hand aufzuwärmen.

Die rechte Hand bekommt man durch klassische Dreitonübung geschmeidig (steigende 3-Ton-Sequenzen mit detachè, dann spiccato ohne leere Saiten zu verwenden). Das ist mein „Blitzprogramm“.

Bleibt mehr Zeit, dann widme ich mich meistens einer Tonleiter über mehrere Oktaven (auf der Bratsche gerne D-Dur). Ich beginne mit Skalen, Stricharten, Dreiklängen, Terzen, Sexten, Oktaven. Bei Doppelgriffe übe ich vor allem Lagenwechsel im legato. Dann auch gerne die 3- und auch 4-Tonübung. Erst dann lege ich mir eine Etüde oder gleich das auf dem Programm stehende Orchester- oder Kammermusikwerk auf das Pult.

Welchen Tipp würdest Du einem Anfänger auf dem Geige oder der Bratsche geben, wenn Du ihn in der U-Bahn triffst?

Zunächst würde ich die In-Ear-Kopfhörer aus den Ohren des Gegenübers nehmen und kontrollieren, welche Musik gerade gehört wird: ist es Klassik oder doch…? Nein, im Ernst: Ich würde raten, auch wenn es mal holprig und mühsam wird auf dem Weg beim Erlernens des Instruments, immer dranzubleiben, die Motivation und Begeisterung nie zu verlieren. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass es immer einen Weg gibt, Fortschritte und größere Ziele zu erreichen. Dann würde ich mich mit einem freundlichen „never give up!“ verabschieden und die Kopfhörer mit dröhnendem „Rammstein“ in die Ohren zurückstecken.

Lukas‘ Tipp: Wie verhilft mir eine strukturierte Bogeneinteilung zu besserem Klang und mehr Ausdruck beim Musizieren?

Jeder kennt das, oft geht während des Stücks mal der Bogen aus, d. h. es sind viel zu viele Noten zu spielen, ohne dass man genügend Bogenlänge zur Verfügung hat. Das ist kein Zufall, sondern Ursache von unpräzise eingeteiltem Bogen. Es ist ratsam, beim Spielen immer ein paar Noten oder sogar Takte, nach vorne zu schauen, und sich die Bogenlänge sehr gut einzuteilen, um in weiterer Folge an der perfekten Stelle zu landen. Bestimmte Stricharten, wie z. B. spiccato funktionieren nun mal nicht an der Spitze, oder am Frosch (dann heißt es collé und wird anders ausgeführt). Im Bereich der Mitte springt der Bogen am besten – und zwar noch kontrollierbar. Genauso würde man in pianissimo eher nicht am Frosch streichen, sondern weiter oben, wo der Bogen leichter wird etc. Gute Bogeneinteilung ist nicht nur vom Publikum aus schön anzusehen, sondern es klingt „natürlich“. In meinen Lernjahren hat die Bogeneinteilung stets einen besonderen Stellenwert gehabt, egal bei welchem Lehrer bzw. Professor.

Die Öknomie der Bogeneinteilung lernt man am besten schon mit dem Wechselstrich, also in sehr frühem Stadium, beginnend auf den leeren Saiten. Dabei wird die ganze Bogenlänge wie folgt aufgeteilt gestrichen: ganzer Bogen (g. B.) — zwei mal obere Hälfte (o. H.) — ganzer Bogen — zwei mal untere Hälfte. Zum Schluss sollte man wieder am Frosch landen und kann die Übung gleich wiederholen. Vorteilhaft ist es dies anhand einer Tonleiter zu üben, wobei ein Durchgang auf je einen Ton fällt.

Als nächstes kann man nur den halben Bogen dafür verwenden, z. B. in der oberen Hälfte: o. H. — zwei Mal Spitze — o. H. — zwei mal Mitte. Und dann in der unteren Bogenhälfte: u. H. — zwei mal Mitte — u. H. — zwei mal Frosch. Gleichzeitig kann man sich um weiche Bogenwechsel — am Frosch eine besondere Herausforderung — bemühen.

Dann könnte man eine 4-Ton-Sequenz oder eine Oktave gebunden so streichen, dass für jeden Folgeton entweder mehr oder weniger Bogen verwendet wird: crescendo (an der Spitze beginnend, Aufstrich) oder decrescendo (am Frosch beginnend, Abstrich). Eine größere Herausforderung ist es, crescendo mit Abstrich zu beginnen und decrescendo mit Aufstrich.

Als weitere Übung für Fortgeschrittene wäre dann noch das „Bogenwandern“, bei dem mit jeder gestrichenen Note die Bogenposition geändert wird. Das könnte z. B. so geübt werden: Beginne mit einer Tonwiederholung am Schwerpunkt, wobei jeder Abstrich etwas länger als die Aufstriche sind. Dadurch wandert der Bogen ganz automatisch immer weiter hinauf zur Spitze. Dabei sollten die klingenden Tonlängen aber immer gleich sein, also z. B. gleich lange Viertel-, Achtel- oder Sechzehntelnoten. Auf die gleiche Weise kann man in der oberen Hälfte in der Nähe der Spitze beginnen und wiederum wiederholte Noten mit ungleicher Bogenlänge (lange Aufstriche, kurze Abstriche) versehen — der Bogen wandert hierbei nach unten. Diese Technik führt auch schon zum Experimentieren mit der Bogengeschwindigkeit, also ob schnell oder langsam gezogen. Genau diese „Trockenübungen“ lassen sich wunderbar auf Spielstücke übertragen. Viele Violinschulen sehen übrigens eine genaue Bogeneinteilung durch eine recht präzise Bezeichnung der entsprechenden Bogenstellen ohnehin vor. Und es ist lohnend, eine solcherart strukturierte Denkweise auch auf die Vortragsliteratur zu übertragen.



Veröffentlicht von

Heinz

Heinz hat Violine und Viola in Wien studiert und ist als Geigen-, Bratschen- und Kammermusiklehrer tätig. Seine besondere Liebe gilt der Kammermusik, Franz Schubert und philologisch hervorragenden Notenausgaben. Nach mehr als einem Jahrzehnt in Deutschland (Heidelberg und Bamberg) lebt Heinz ab Herbst 2022 wieder in seiner Heimatstadt Wien.

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