Stradivaris auf dem Dachboden

Selbst die unersetzlichsten Gegenstände sind vor Liebesentzug nicht gefeit und wandern nach einiger Zeit in die oberste Etage des Hauses, wo sie für viele Jahre geduldig auf ihre Wiederentdecker warten. Glücklich kann sich der nostalgische Dachbodenreisende schätzen, der nicht nur die Relikte vergangener Wärmedämmungsmaßnahmen oder die Hinterlassenschaften der in der Mansarde wohnenden Mardersippe vorfindet, sondern echte Schätze. Zwischen Uropas Bierdeckelsammlung und Großonkels viel zu früh verschiedener und deshalb dereinst für das Kaminzimmer präparierter Lieblingsdogge findet sich auch ein Geigenkasten, dessen archaische Lederbezüge das Alter des guten Instruments bereits erahnen lassen.

Unechte Stradivaris gibts wie Sand am Meer

Antonio Stradivari ist schon sehr lange der große Name der Geigenbaukunst — wiewohl er „erst“ im Laufe des 18. Jahrhunderts dem Tiroler Meister Jakobus Stainer den Rang ablief. Zu den Myriaden an Geigen mit Stradivari-Geigenzetteln haben keineswegs nur verschlagene Fälschernaturen beigetragen. Vielmehr war und ist es im Geigenbau üblich, Instrumente mit Zetteln großer Namen zu versehen, um die Anlehung an eine bestimmte Machart — ein bestimmtes Modell — zu markieren.

Leider legt dies alleine keinesfalls einen hohen Wert des Intruments nahe — oft ist sogar der Gegenteil der Fall, denn Geigenzettel von Stradivari, Amati, Guarneri, Steiner etc. werden seit weit mehr als 100 Jahren in den Geigenbau-Manufakturen und Fabriken — in Marktneukirchen, Bubenreuth, Mittenwald, Mirecourt und seit einigen Jahren auch in der Pekinger Vorstadt Donggaocon, wo mittlerweile ein gutes Drittel der weltweiten Geigenproduktion herstammt — zigtausendfach geklebt.

Ein nachgemachter Geigenzettel von Antonio Stradivari

Vielleicht doch ein Grund zur Freude?

Auch wenn die Wahrscheinlichkeit nicht unbedingt hoch ist: ausgeschlossen, dass es sich nicht doch um ein Instrument mit einem gewissen Wert handelt, ist es nicht — auch Geigenbaumeister lehnten sich an die bekannten Modelle von Stradivari an und klebten entsprechende Labels. Schade nur, wenn so manchem die dramatische Erwartung des potentiellen Millionenschatzes die Freude über ein vielleicht ganz passables und brauchbares Streichinstrument verdirbt, nur weil es sich dann eben doch nicht als waschechte Stradivari entpuppt.

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Heinz

Heinz hat Violine und Viola in Wien studiert und ist als Geigen-, Bratschen- und Kammermusiklehrer tätig. Seine besondere Liebe gilt der Kammermusik, Franz Schubert und philologisch hervorragenden Notenausgaben. Nach mehr als einem Jahrzehnt in Deutschland (Heidelberg und Bamberg) lebt Heinz ab Herbst 2022 wieder in seiner Heimatstadt Wien.

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