Zu den wohl häufigsten Fragen, die mir als Bratschist gestellt werden, zählen jene nach den Unterschieden zwischen Geige und Bratsche – beziehungsweise wie einfach oder kompliziert ein Umstieg von der Geige auf die Bratsche zu bewerkstelligen sei. Bei manchen, die mir diese Frage stellen, mag die Erwartung eine Rolle spielen, als Bratscher endlich zum begehrten Mitspieler, Kammer- oder Orchestermusiker zu avancieren. Andere präferieren den tieferen Klang des Instruments. Und wieder andere vermuten hinter den zahlreichen Witzchen und Gerüchten über Bratschisten einen wahren Kern und hoffen auf eine gewisse spieltechnische Erleichterung durch den Wechsel auf das vielgescholtene, vielleicht aber auch exklusivere Instrument.
Tatsächlich sieht sich jeder, der als Geiger Bratsche lernen möchte, zunächst mit einigen Herausforderungen konfrontiert, die es zu meistern gilt und die in der Regel etwas Zeit und Aufmerksamkeit beanspruchen.
Intonation umstellen und Bratschenschlüssel lernen — keine Herkulesaufgaben
Zwei Aspekte, die den Meisten, die von der Geige zur Bratsche wechseln, zunächst einfallen, gestalten sich in der Regel recht unproblematisch. So werden die etwas größeren Distanzen beim Greifen und die saubere Intonation von geübten Geigern recht rasch bewältigt (sofern man nicht allzu kleine Hände sein eigen nennt). Viele Musiker beherrschen recht bald sogar den fliegenden Wechsel zwischen den beiden Instrumenten. Auch das Erlernen des Bratschenschlüssels ist nicht allzu schwierig und kann mitunter sogar nach wenigen konzentrierten Stunden reibungslos funktionieren.
Ein großes Instrument — physiologische Bedingungen beim Umstieg von der Geige auf die Bratsche
Mitunter etwas gewöhnungsbedürftiger sind hingegen jene Aspekte, die durch die Unhandlichkeit des Instruments bedingt sind – insofern spielt die Wahl der passenden Bratschengröße eine wichtige Rolle. Die ungleich höhere Beanspruchung der Muskulatur ist keineswegs zu unterschätzen. Das Gewicht einer Bratsche ist mit typischerweise etwa 600- 700 Gramm höher als das einer Geige, die etwa 400-420 Gramm wiegt. Zudem sind durch die Länge des Instruments Hebelkräfte in Rechnung zu stellen, die ein Mehrfaches der von der Geige gewohnten Belastungsmomente bewirken.
Spätestens beim Wechsel auf eine vergleichsweise große Bratsche könnte die Praxis, das Instrument zwischen Schulter und Kinn permanent auf Kosten der Nackenmuskulatur schraubstockartig einzuklemmen, kritisch hinterfragt werden.
Hilfreich ist auch eine genaue Beobachtung der Streichbewegung. Beim Bratsche spielen ist die Kontaktstelle des Bogens weiter von der Körpermitte entfernt als beim Geige spielen. Falls man in diesem Fall die Schulter nach vorne schiebt, könnte man überlegen, das Instrument insgesamt mehr in Richtung Körpermitte zu halten. Denn auch auf diese Weise vermag man den Winkel bei der Streichbewegung zu ändern und damit die rechte Schulter wieder zu entlasten.
Gelegentlich könnte zu Beginn auch eine leichte Überdehnung der linken Hand auftreten – die Supination ist beim Bratsche spielen insgesamt etwas stärker. Kleine Anzeichen sollten diesbezüglich unbedingt ernst genommen werden und im Zweifelsfall sind kurze Übe-Einheiten zu bevorzugen.
Klang und Ansprache
Die Tonhöhe einer schwingenden Saite wird durch mehrere Faktoren beeinflusst: die Länge, die Spannung und die Masse (bzw. Durchmesser und Dichte). Da die Mensur der Bratsche (schwingende Saitenlänge) für die jeweiligen Frequenzen spielphysiologisch bedingt vergleichsweise kürzer als auf der Geige und dem Cello ist, müssen die Saitenhersteller mit ungünstigeren Masse- und Saitenspannungsverhältnissen operieren. Die vergleichsweise träge Ansprache der Bratsche hat hierin ihre Ursache und bereitet vielen Umsteigern Schwierigkeiten. Reflexartig mit mehr Bogendruck zu reagieren, hilft nicht. Viele Bratschen – auch sehr gute – verzeihen dies noch viel weniger als Geigen. Eine Bratsche zum Klingen zu bringen, bedeutet in erster Linie mit diesem Problem umgehen zu lernen. Gerade für den Einstieg empfehle ich das Studium kurzer Striche, die genaue Beobachtung der Kontaktstelle und eine konsequente Sensibilisierung für die Qualitäten des Nachklangs einzelner Töne, der – und das ist der Dank der Bratsche – in seiner Sentimentalität und morbiden Ästhetik unter allen Musikinstrumenten Seinesgleichen sucht.
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