Führt der Weg zur Musik wirklich immer zuerst über die Technik? Und wie finde ich den Weg zu meiner eigenen Stimme am Instrument?
Wenn wir ein Streichinstrument erlernen sind wir bereits ganz zu Beginn in der glücklichen Lage, dass wir vier Töne mit einem relativ farbenreichen Spektrum anspielen und diese bereits unterschiedlich gestalten können – mit pizzicato oder arco. Wenn man sich mit freier Improvisation auf diese Klänge einlässt, können die schönsten Farben und Stimmungen entstehen. Vielleicht auch gespickt mit Klängen, die mit dem klassischen Geigen-, Bratschen- oder Celloklang gar nichts zu tun haben: etwa dem sanften Klopfen auf Holz oder den Anmutungen eines mystischen Windhauchs, der in die f-Löcher pfeift…
Improvisation ist auch ein wunderbares Werkzeug, um Tonleitern abwechslungsreicher zu gestalten. Es lohnt sich, sich dabei in unterschiedliche Gefühlslagen zu versetzen – etwa frech und pfiffig oder melancholisch. Oder auch nur mit dem Tonmaterial einer Tonleiter eine eigene Melodie zu erfinden. Das funktioniert übrigens auch ganz fantastisch im Ensemble – daraus können richtige Gespräche und Geschichten entstehen. Technisches Material, wie zum Beispiel Etüden oder Strichübungen mit Leben und Musik zu erfüllen, ist ein wichtiger Bestandteil auf dem Weg zum Musizieren. Was wir intensiv empfinden, lässt sich körperlich und instrumentaltechnisch besser umsetzen. Eine schwierige Stelle kann durch unterschiedliche Herangehensweisen auf diese Weise sogar zu einer Lieblingsstelle avancieren – etwa wenn man sie rückwärts oder mit Springbogen statt mit Bindebogen spielt…
Das Erforschen der eigenen Stimme am Instrument erfordert gewiss manchmal Mut und Überwindung. Doch wie schön kann das Gefühl sein, wenn man für sich Besonderes entdeckt: Ein Geiger könnte etwa die tiefen Klänge seines Instruments sehr ansprechend finden, mit den hohen Tönen dagegen auf Kriegsfuß stehen. Wäre es in diesem Falle nicht lohnenswert der Bratsche den Vorzug zu geben? Ich kenne gar nicht wenige Musiker, die so ihr Glück gefunden haben…
Musizierende dürfen, ja sollen sich nicht erst als fortgeschrittene Instrumentalisten, sondern bereits als Anfänger wie Magier fühlen — mit dem Bogen als Zauberstab. Wer diesen Mut aufbringt, hat gute Chancen seine eigene Stimme am Instrument zu finden.
Toll und bildhaft erzählt. Vielen Dank